Drei Studentinnen aus der japanischen Großstadt Hiroshima besuchten in der Zeit vom 20. August bis zum 1. September Marburg. Gastgeber war die Emil-von-Behring-Schule, die seit 2011 Kontakt zur Shudo-Universität in Hirsohima unterhält.
Damals besuchte der Kassler Künstler Dr. Stefan Mitzlaff, Maler und Soziologe, gemeinsam mit Prof. Yoshimi Morishima (Shudo Universität, Hiroshima, Deutsch und Geschichte) die EvB und zusammen mit interessierten Lehrerinnen und Lehrern wurde eine Projektwoche mit dem Thema „Geschichte und Geschichten“ konzipiert. Im Rahmen dieser Projektwoche setzten sich die Schülerinnen und Schüler der EvB in ihren Projekten teils mit der familiären und teils mit der deutschen Vergangenheit auseinander und bereiteten eine Ausstellung vor, in der ihre Recherchen Mitschülern, Eltern und der interessierten Öffentlichkeit präsentiert wurden.
Einige ausgewählte Arbeiten werden nun für eine Wanderausstellung in Japan vorbereitet, um sie dort in mehreren Großstädten zu präsentieren. Die Auseinandersetzung mit der persönlichen Vergangenheit und der Geschichte des eigenen Landes ist in Japan ein wichtiges Thema. Die Beispiele aus einer deutschen Schule können dort also Anregungen und Impulse zur Weiterarbeit geben.
Prof. Morishima arbeitet an der Shudo Universität nicht nur im Bereich der Lehrerausbildung, sondern unterrichtet auch das Fach Deutsch und Geschichte. Regelmäßig organisiert er Auslandsaufenthalte für seine Studentinnen und Studenten in Deutschland.
Im Jahr 2011 besuchte er im Rahmen des Projektes an der EvB Marburg und fand Gefallen an dem romantischen kleinen Städtchen mit seinen Fachwerkhäusern und dem Schloss.
Gerne war die EvB bereit, für studentische Besucher aus Hiroshima ein Quartier zu besorgen und ein Besuchsprogramm zu organisieren.
Da eine der Studentinnen an Zerebraler Parese leidet und sich mit dem Rollstuhl fortbewegt, bot sich die Unterbringung von Nayuta Yamato, Ai Natida und Natsumi Nasu im nur 200 m von der EvB entfernten Konrad-Biesalski-Haus der Uni Marburg an. Das Biesalski-Haus in Marburg ist ein in Deutschland einmaliges Studentenwohnheim, das Studentinnen und Studenten mit körperlichen Behinderungen eine adäquate Unterbringung mit zusätzlicher Unterstützung durch Pflegepersonal ermöglicht. Das unbürokratische und von Hilfsbereitschaft geprägte Engagement der Wohnheimverwaltung und des Personals des Biesalski-Hauses waren für Gäste und Gastgeber ein ganz wesentlicher Beitrag zu einem gelungenen und für alle angenehmen Ablauf des Besuches.
Das umfangreiche Besuchsprogramm für die drei Studentinnen sah am ersten Tag eine Stadtführung vor. Diese wurde von der Stadtführerin Frau Haas durchgeführt, die die Mediathek der EvB im ehemaligen Turnergarten leitet und gerne dazu bereit war. Frau Noriko Iijima– ihre beiden Töchter hatten die Grundschule in der EvB besucht – half beim Übersetzen und verbrachte viel Zeit mit den drei Studentinnen. Frau Iijima war während des Besuchs ständig gefragt, und ihr Telefon stand in den zehn Tagen nicht still: Ständig gab es etwas zu besprechen und zu verabreden. Ohne ihre Zweisprachigkeit wäre all das kaum zu bewältigen gewesen!
Auch das eine oder andere Abenteuer galt es für Frau Iijima und die japanischen Studentinnen zu bestehen. Etwa den Besuch des Botanischen Gartens am späten Nachmittag, verbunden mit dem Problem, wie man nach Schließung des Haupteingangs mit einem Rollstuhl durch die für späte Besucher vorgesehene enge Drehtür wieder heraus kommt ...
Das Rollstuhlfahren in Marburg erwies sich grundsätzlich als Herausforderung. Der leichte Rollstuhl, der aus Japan mitgebracht worden und auf dem Flug günstig und leicht zu handhaben gewesen war, versagte auf Marburgs Kopfsteinpflaster völlig. Erst ein vom hilfsbereiten Sanitätshaus Kaphingst günstig zur Verfügung gestellter Rollstuhl mit großen Rädern und elektrischer Schiebehilfe machte es möglich, die Unebenheiten und starken Steigungen der Stadt zu bewältigen.
Nachdem die Unterbringung organisiert und die Mobilität gesichert war, stand dem eigentlichen Besuchsprogramm nichts mehr im Wege. Der Zeitpunkt für den Besuch war günstig gewählt und Marburg zeigte sich bei bestem Sommerwetter von seiner touristisch attraktiven Seite. Neben dem Mittelaltermarkt gab es das Weidenhäuser Höfefest, den Biergarten auf dem Kirchplatz der Pfarrkirche mit selbstgebrautem Bier, das von den Studentinnen mit großer Neugier, aber auch vorsichtiger Scheu probiert wurde, und die tolle Aussicht auf Marburg vom Wilhelmsturm bei Spiegels-Lust. Ein Gottesdienstbesuch in der ehrwürdigen Pfarrkirche und die gelungene Premiere der „Dreigroschenoper“ im Theater rundeten das Besuchsprogramm ab.
Die Schülerinnen und Schüler der EvB zeigten sich sehr aufgeschlossen und halfen, wo es ging, um den Rollstuhl auf dem steilen Gelände der Schule sicher zu bewegen. Die häufig von den Japanerinnen in der Cafeteria eingenommen Mahlzeiten gerieten schnell zu Autogrammstunden, besonders als es sich herumsprach, dass man dort seinen Namen in dekorative japanische Schriftzeichen übersetzt bekam.
Die zunächst von einigen Lehrerinnen und Lehrern gezeigte Skepsis aufgrund der schwierigen Kommunikation, wurde von den Schülerinnen und Schülern tatkräftig ignoriert, und es zeigte sich, dass hier mutiges Gestikulieren verbunden mit den in japanischen Filmproduktionen erworbenen Wortfetzen hilfreicher waren, als makellos deklamiertes Englisch.
Die drei Besucherinnen vom anderen Ende des Kontinents waren nicht mit leeren Händen gekommen. Im Zentrum ihres Besuchs an der EvB stand ein Theaterstück, das sie als Beitrag für die Documenta 13 in Kassel vorbereitet hatten und das sich mit der japanischen Tsunami-Katastrophe 2011 und dem damit verbundenen Kollaps der Atommeiler in Fukushima beschäftigte. Als besonders mutig muss seitens der Studentinnen angesehen werden, dass sie in ihrem Stück eine Brücke schlugen von den Atombombenabwürfen 1945 zur Katastrophe, die 2011 in Fukushima begann und noch lange nicht überwunden ist.
Damit dieses Stück auch in der EvB angemessen gespielt werden konnte, wurde die Bühne des Turnergartens nach den Vorstellungen der Studentinnen - Frau Iijima übersetzte engangiert zwischen Japanisch, Englisch und Deutsch hin und her - umgebaut und nach einigen Proben konnte das japanische Stück für die Schülerinnen und Schülern der EvB zur Aufführung gebracht werden. Nach 4 vollbesetzten Vorstellungen hatten fast alle Schülerinnen und Schüler, sowie die Lehrer der EvB das Stück gesehen. Alle zeigten sich beeindruckt. Das etwa 30-minütige Schauspiel verzichtete weitgehend auf gesprochene Dialoge und setzte auf das engagierte Spiel der Studentinnen in Kombination mit einer ausgeklügelten Videopräsentation. Besonders die Art und Weise, wie die im Rollstuhl sitzende Nayuta Yamato ins Spiel eingebunden war, machte starken Eindruck und trug mit dazu bei, dass die Zuschauer den Aufführungen stets gespannt und mit atemloser Stille folgten. Die Theatergruppe „Darstellendes Spiel“ unter der Leitung von Frau Busch half hinter den Kulissen beim Wechseln der Kostüme. Außerdem sorgten sie mit dafür, dass Nayuta Yamato mit dem Rollstuhl auf der Bühne immer an der richtigen Stelle stehen konnte. Besonders für die Theatergruppe der EvB war es ein eindrückliches Erlebnis zu beobachten, mit welcher Präzision und Genauigkeit die drei Japanerinnen arbeiteten, damit in den Vorführungen alles souverän und wie selbstverständlich erschien.
Am 1. September verließen die drei Studentinnen Marburg in Richtung Kassel, um sich dort neben Dr. Stefan Mitzlaff und Prof. Yoshimi Morishima mit weiteren Studenten aus Japan zu treffen und gemeinsam mit dem Kassler Musiker und Komponisten Ulli Götte ihr Stück im Rahmen eines Konzerts an mehreren Abenden anlässlich der Documenta zu spielen.
Zurück bleiben bei Schülern und Lehrern der EvB viele neu gewonnene Eindrücke und die Lust auf weitere gemeinsame Projekte und Vorhaben mit der Shudo Universität in Hiroshima und Dr. Stefan Mitzlaff aus Kassel.
M. Brauer
Mehr Bilder vom Besuch gibt es in der Galerie...

















Bei schönstem Herbstwetter wanderte die Klasse 7a über den Dammelsberg und die Wehrshäuser Höhe zum Kletterwald an der Dammühle.





